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Psychologie: Forschung und Anwendung

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In den Medien, in Gesprächen und Präsentationen werden wir regelmäßig mit neuen Erkenntnissen der psychologischen Forschung konfrontiert. Doch welche Relevanz besitzen diese Befunde für unser (Arbeits-)Leben?

Auf dem Weg von psychologischer Forschung in die Praxis kann viel verloren gehen. Das betrifft nicht nur die Darstellung von Forschungsergebnissen in den Medien, sondern auch die Studien selbst.

Skeptischer Optimismus

Goodwin und Goodwin (2013) haben die Grundeinstellung von Forschern treffend als „skeptischer Optimismus“ bezeichnet: „Sie sind offen für neue Ideen und optimistisch darin, wissenschaftliche Methoden zum Überprüfen dieser Ideen zu verwenden, gleichzeitig sind sie aber kompromisslos: Sie akzeptieren keine Behauptungen ohne gute Belege.“ [Übersetzung]

Wissenschaftler überprüfen die Beiträge ihrer KollegenInnen auf theoretische Fundierung und methodische Qualität. Dieses „peer review“ soll die Qualität der Arbeit garantieren, wobei Plagiate und Datenfälschungen/-erfindungen z. T. nicht (sofort) entdeckt werden.

Fragen an wissenschaftliche Befunde

Als RezipientIn wissenschaftlicher Forschung sollte man einen ähnlichen skeptischen Optimismus zeigen und die folgenden Fragen stellen:

Wie sieht die Befundlage wirklich aus? Psychologische Forschungsergebnisse sind üblicherweise komplizierter als das, was in eine Schlagzeile passt. Meist werden in Studien bestimmte Gruppen untersucht (z. B. Studenten) und Effekte treten nur unter bestimmten Rahmenbedingungen auf. Auch gibt es meist Studien mit anderen Ergebnissen. Das heißt nicht, dass die Psychologie beliebig ist, sondern dass menschliches Verhalten sehr komplex ist. Es gibt einfach sehr viele Einflussfaktoren, die eine Rolle spielen können und nicht alle sind bekannt oder kontrollierbar.

Liegt überhaupt ein Effekt von A nach B vor? Das Experiment ist der Königsweg zu belastbaren Ergebnissen. Nur wenn man Personen zufällig zwei (oder mehr) Bedingungen zuordnet und eine der Gruppen einer Intervention aussetzt (z.B. ihnen ein neues Werkzeug zur Verfügung stellt oder ihnen Geld für Datenbankeinträge gibt) und es dann systematische Unterschiede zwischen den Gruppen gibt, kann man davon sprechen, dass die Intervention einen Effekt hat. Dies ist aber häufig aus ethischen, rechtlichen oder praktischen Gründen nicht möglich. Viele Ergebnisse basierend lediglich auf Korrelationen. Man hat festgestellt, dass sich B verändert, wenn sich A verändert. Ob allerdings A zu B führt, oder B zu A, oder C sowohl zu A als auch zu B, etc., lässt sich nicht beantworten. Menschen (und Medienberichte) tendieren dazu, Kausalannahmen (A führt zu B) zu machen, obwohl das die Studien nicht hergeben. Man glaubt dann, über A B kontrollieren zu können, was in vielen Fällen dann nicht funktioniert.

Auch wenn es signifikant ist, wie stark ist der Effekt? Psychologische Forschung ist üblicherweise probabilistisch. Die Psychologie schaut üblicherweise, wie wahrscheinlich es ist, dass bestimmte Ergebnisse (z.B. Gruppenunterschiede) zufällig zustande gekommen sein könnten. Ist ein Zufall sehr unwahrscheinlich (unter 5%), spricht man von signifikant. Das ist eine Voraussetzung für den Nutzen der Forschung, heißt aber nicht, dass die durch die Intervention ausgelösten Effekte auch praktisch relevant sind. Hierfür gibt die Effektstärke Werte vor, bei denen man von schwachen bis starken Effekten sprechen kann. Praktisch sollte man fragen: Wenn wir die A machen, wie stark wird sich im Durchschnitt B verändern?

Wurden die Ergebnisse repliziert? Da die Psychologie üblicherweise mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet kann es durchaus sein, dass Unterschiede aufgrund von sehr seltenen Zufällen vermutet werden. Es kann sehr unwahrscheinlich sein, dass die Ergebnisse per Zufall aufgetreten sind, aber ebenso wie man beim Münzwurf 20x Zahl werfen kann, kann es passieren. Hier ist die Replikation der Studie wichtig: Wurden dieselben Ergebnisse auch in anderen Studien gefunden?

Sind die Ergebnisse übertragbar? Viele Studien werden aus praktischen Gründen mit Studierenden durchgeführt, die Interventionen sind ob relativ kurz, und die Bedingungen sind „methodisch ideal“, d.h. andere mögliche Einflussfaktoren wurden ausgeschaltet oder konstant gehalten. Kann man aber z. B. bei einer Studie von 45 Minuten Dauer mit Studierenden in einem Forschungslabor Schlussfolgerungen für den Einsatz einer Technologie zum Wissensaustausch ziehen, die von Mitarbeitenden in der komplexen Arbeitswelt tagtäglich verwendet werden soll? Und selbst wenn die Effekte im Anwendungskontext nicht durch andere Einflussfaktoren verhindert werden, wie lange halten sie an, wenn der Reiz des Neuen verschwunden ist?

Fazit

Psychologische Forschung ist sehr mächtig. Sie erlaubt es uns, Aussagen über menschliches Verhalten zu machen, die belastbar sind. Allerdings muss man die Befunde kritisch rezipieren und hinterfragen.

Literaturnachweis: Goodwin, C. J., & Goodwin, K. A. (2013). Research in Psychology. Methods and Design. (7th Edition). Singapore: John Wiley & Sons.

Zitieren als: Wessel, D. (2013). Psychologie: Forschung und Anwendung. wissens.blitz (113). https://wissensdialoge.de/psychologie_forschung_und_anwendung