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Ein Plädoyer fürs „Schrott-Wichteln“ – nicht nur bei Weihnachtsgeschenken

„Wichteln“ oder „Julklapp“, wie es im Norden heißt, gehört zu Weihnachten wie der Tannenbaum und das „Oh, du fröhliche“. Die Idee ist einfach: nicht jeder muss jedem etwas schenken, sondern man zieht im Geheimen ein Los mit dem Namen einer Person, die man beschenken darf.

„Wichteln“ oder „Julklapp“, wie es im Norden heißt, gehört zu Weihnachten wie der Tannenbaum und das „Oh, du fröhliche“. Die Idee ist einfach: nicht jeder muss jedem etwas schenken, sondern man zieht im Geheimen ein Los mit dem Namen einer Person, die man beschenken darf.

Die Wahrscheinlichkeit, dass man dabei im Sportverein, im Team oder der Ausbildungsklasse jemanden zieht, den man fast nicht kennt, liegt relativ hoch. Was tut man dann? Man kauft etwas, von dem man überzeugt ist, dass jede/r sich darüber freuen würde. Ich selbst z.B. liebe praktische Geschenke. Ich musste aber erleben, dass die von mir beschenkte Person sichtlich nicht erfreut war über die wasserdichte Küchendose, die ich ausgesucht hatte. Ich dagegen halte fast jedes Mal eine dekorative Tasse (wenn der Schenkende über minimales Wissen über mich verfügt: eine Tasse mit einem lustigen Comic zu meinem Sternzeichen) in der Hand. Ich verfüge aber bereits über eine übergroße Anzahl von Tassen und bin- wie sollte es anders sein? – sichtlich nicht erfreut.

Wie kommt es aber, dass das Schenken bei unbekannten Personen so oft schief geht? Wir tapsen beim Schenken an Unbekannte höchstwahrscheinlich in die Falle des Falschen-Konsensus-Effekts. Dieser Effekt bedeutet, dass man das Ausmaß, in dem andere Leute den eigenen Geschmack,  Vorlieben, Interessen oder Einstellungen teilen, maßlos überschätzt. In ihrer klassischen Studie zum Falschen-Konsensus-Effekt haben Ross und Kollegen Studierende gebeten, mit einem Umhänge-Schild Werbung für ein Restaurant zu machen. Diejenigen, die sich dafür entschieden haben, waren der Meinung, dass 62% der anderen Studierenden sich ebenfalls so entscheiden würden. Interessanterweise waren aber auch diejenigen, die sich dagegen entschieden haben der Meinung, dass sich 67% so wie sie entscheiden würden. Durch diese Überschätzung halten wir häufig unsere eigenen Einstellungen für normal, denn sie werden ja – in unserem Kopf- von der Mehrheit geteilt.  Leicht kann es daher passieren, dass wir „die anderen“ seltsam finden. Wer will schon eine Tasse geschenkt bekommen? Ich persönlich denke natürlich, dass über 60% der Leute eine Küchendose vorziehen würden.

Wer beim Wichteln trotzdem mit etwas zum Freuen nach Hause gehen möchte, dem hilft das sogenannte „Schrott-Wichteln“. Hier bringt jede/r etwas mit, das ihm selbst nicht gefällt. Wichtig ist aber, dass es potentiell jemand anderem gefallen könnte! Die Geschenke können dann durch Zufall verteilt werden. Noch besser ist es, wenn die  Anwesenden (z.B. mit Würfeln oder Ratespielen verbunden) die Geschenke nach dem Auspacken nochmal tauschen dürfen: da man den Konsens über den eigenen Geschmack überschätzt, finden sich für viele Dinge, die man für Ladenhüter gehalten hat, begeisterte Liebhaber. Ein weiterer Vorteil: Dinge, die man sich selbst aussucht, findet man automatisch schon etwas besser als wenn man nicht aussuchen darf.

Spannenderweise gilt das nicht nur für Weihnachtsgeschenke, sondern auch für Aufgaben im Team: man geht automatisch davon aus, dass andere Teammitglieder eine Präferenz für ähnliche Aufgaben haben und die gleichen Aufgaben wie man selbst vermeiden möchten. Hier kann es sehr überraschend sein, wenn man „Schrott-Wichteln“ mit Arbeitsaufgaben macht. In einem Projekt kann es vor allem in neuen Teams sehr nützlich sein, unkommentiert die nötigen Aufgaben erstmal zu sammeln. Danach sagt jedes Teammitglied, welche Aufgaben es sich vorstellen kann. Vielleicht vermeiden Sie selbst gerne die administrativen Tätigkeiten und hatten dahingegen einen zähen Kampf um die Öffentlichkeitsarbeit erwartet:  so muss es nicht sein! Manchmal- und mehr als man denkt- gibt es Teammitglieder, die gerade das mögen, was einem selbst nicht gefällt.

Lassen Sie also – nicht nur zu Weihnachten – wenn möglich jeden nach seiner Fasson selig werden. Ermöglichen Sie, dass man offen seine Vorlieben äußern kann und erlauben Sie die die freie Auswahl, wo es geht. Am Ende findet sich viel häufiger als man denkt jemand, der sich riesig über eine Tasse freut. Im besten Fall hat der auch noch das richtige Sternzeichen.

Literaturnachweis:
Ross, L., Greene, D. &  House, P. (1977). The „false consensus effect“: An egocentric bias in social perception and attribution processes. Journal of Experimental Social Psychology, 13, 279–301.